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Vorwort
zur Neuauflage des Erstdrucks von 1887
Felix
Draesekes Streichquartett in e-moll, Op. 35, entstand 1886
in der Nachbarschaft von zwei bedeutenden Werken seines Gesamtschaffens,
nämlich dem Klavierkonzert Es-dur (Op. 36) und der Sinfonia
tragica (Op. 40). Die hier in einem Neudruck vorgelegte
Kammermusik widmete der Komponist seinem Freund und Kollegen
Eduard Rappoldi, dessen Frau, Laura Rappoldi-Karer, sich stark
für Draesekes Klaviermusik einsetzte und auf deren Anregung
hin das oben genannte Klavierkonzert entstanden ist. Gegenüber
den beiden Titanenwerken besetzt das e-moll-Quartett eine entgegengesetzte
Position. Draeseke selbst hat es wegen seiner innigen und abgeklärten
Grundstimmung den anderen zwei Streichquartetten (Nr. 1, c-moll,
Op. 27 von 1827, und Nr. 3, cis-moll, Op. 66 von 1895) stets
vorgezogen. Gewiss darf diese Kammermusik wegen des lyrischen
Grundzuges zu den "schönsten und innigsten Hausmusiken
der Romantik" (E. Roeder, Biographie Bad. 2, S. 166) gezählt
werden, nicht der einzige Grund, das Werk hiermit einer breiteren Öffentlichkeit
wieder zugänglich zu machen. Schon an anderer Stelle ist
betont worden, dass Felix Draeseke in den einzelnen Gattungen
der Musik jeweils auch Werke ganz Überdurchschnittlicher
Bedeutung hinterlassen hat. Einen solchen Platz nimmt beispielsweise
die Klaviersonate Op. 6 für die Klaviermusik ein. In der
Sinfonik steht zweifelsohne Draesekes Sinfonia tragica ganz
oben. In der Formengeschichte des Oratoriums beansprucht sein
berühmtes Mysterium "Christus" einen Sonderplatz.
Draesekes Kammermusik findet in dem späten Streichquintett
F-dur/f-moll Op. 77 ihren Höhepunkt. Über der oft
zitierten Bemerkung von Hermann Kretzschmar, der Draeseke als
den "gefürchtetsten Kontrapunktiker seiner Zeit" bezeichnete,
wird allzu oft vergessen, dass Draeseke neben der absoluten
Beherrschung der musikalischen Satztechniken auch ein Melodiker
war, dessen Erfindungen zum Schönsten gehören. Das
hiermit der Öffentlichkeit an die Hand gegebene Streichquartett
e-moll ist denn auch geeignet, den ganz anderen, den "lyrischen" Draeseke
bestens bekannt zu machen. Es sei noch darauf hingewiesen,
dass die Kammermusik überhaupt in Draesekes Gesamtschaffen
einen sehr breiten Raum einnimmt, wobei der Komponist auch
für zum Teil seltene Besetzungen geschrieben hat. Genannt
seien in diesem Zusammenhang das Quartett Op. 48 für Klavier,
Violine, Viola, Violoncello und Horn sowie die zwei Sonaten
für Viola alta and Klavier (Nr. 1 c-moll o.0. erschien
beim Verlag Wollenweber) als Beispiele. Draesekes Quartettstil
zeichnet sich aus durch die vorherrschende Gleichbehandlung
aller Instrumente. Der Komponist schreibt für das Streichquartett
als einheitlichen Klangkörper, ein Charakteristikum für
den Kompositionsstil Draesekes überhaupt, denn auch in
der Klaviermusik ebenso wie in der Sinfonik und der a-cappella-Chormusik
trifft man eine sichere Beherrschung der jeweiligen Eigenarten
der Instrumente bzw. der Stimmen an. Felix Draeseke vollendete
sein Streichquartett e-moll im Mai 1886.
Der erste Satz (4/4-Takt, Allegro moderato), im Tempo sehr variabel,
fesselt durch lyrische Innigkeit. Das Hauptthema ergiesst sich
in einer breiten Cantilene des Violoncello, die wehmutigen Charakter
hat. Wiederholung and Fortführung des Themas erfolgt in
lichter Höhe. Nach einer kurzen Überleitung tritt das
zweite Thema in der Paralleltonart E-dur ein. Das folgende dritte
Thema ist aus dem zweiten entwickelt worden. Die Rückleitung
zur Vordersatzwiederholung nähert sich dem ersten Thema
wieder an, das auch den Anfang der kurzen Durchführung beherrscht.
In flächenhaftem Wechsel werden auch die Nebenthemen behandelt.
Ein Triolenmotiv schwingt noch mit, wenn mit dem Hauptthema bald
die Reprise einsetzt. Das zweite Thema erscheint dann zweimal
- zunächst in G-, dann in E-du r. Dieses beherrscht auch
die Coda. Bevor der Sch1u5 des Kopfsatzes in einem sturmischen
vierfachen Oktavkanon herbeigeführt wird, imitieren die
Aussenstimmen das Kopfmotiv in uberaus zarter Ausformung. Der
zweite Satz (2/4-Takt, Allegro vivace, e-moll) ist ein geistvolles
Scherzo im geraden Takt. Es entwickelt sich aus rollenden 16teln
eines einzigen Themas, wie sich das schon in Draesekes 1. Sinfonie
G-dur feststellen lasst. Das Thema wird in Terzen mitgespielt.
Seine Unregelmässigkeit birgt Überraschungen. An Zwischenschlägen,
launigem Abspringen in andere Tonarten fehlt es ebenso wenig
wie an klanglichen Besonderheiten, etwa beim gezupften Themeneinsatz
in der Reprise. Einen rhythmisch harmonischen Gegensatz bildet
das Trio (3/4-Takt, C-dur) mit einem mazurka-artigen Hauptgedanken
and der berückenden Aussprache zwischen Violoncello und
der kontrapunktierenden Violine. Das folgende Adagio (3/4-Takt,
molto espressivo, C-dur) ist ein Satz von stimmungsvoller Zartheit
und tiefer Selbstbeschaulichkeit. Auch hier sind Beziehungen
zur schon genannten G-dur-Sinfonie festzustellen. Neben der Fülle
der Eingebungen wird man die Eindringlichkeit der so unaufdringlichen
Melodien, die Feinheit in der Stimmenverwebung, die kontrapunktische
Selbstverständlichkeit der bisweilen kanonischen Einsatze
stets bewundern. Der das Werk krönende Schluss (6/8-Takt,
Allegro molto vivace) ist wieder ein heiteres, "durchgeführtes"Rondo.
Es wird eröffnet durch ein Gigue-artiges, unregelmässiges
Thema, dessen abwärts springende Achtel sofort wieder emporsteigen.
Den Nachsatz beherrscht eine fesselnde Rhythmik. Der Hauptgedanke
kehrt mit funkensprühender Lebendigkeit vor einem Einschnitt
auf der Subdominante wieder. Breit ausgesponnen ist der lyrische
Zwischensatz. Ganz überraschend erfolgt schliesslich auf
höchster Hohe ein Themeneinsatz in C-dur, nach weiterem
Zwischensatz ein weiterer in F-dur. Aus dem zweiten Thementeil
wird dann ein entzückendes Fugato entwickelt. Mit dem Dominanteintritt
des Hauptsatzes klart sich die Rondoform. Die kräftigen
Themen werden durch Harmonie- und Instrumentenwechsel aufgefrischt.
Mit einem Zitat des Hauptmotives aus dem ersten Satz, das in
schlichter Oktav-Imitation erscheint, wird noch einmal an die
lyrische Grundhaltung des Gesamtwerkes erinnert. bevor ein Presto-Anhang
auch hier den Schluss herbeifuhrt.
Dank
für das Zustandekommen dieser Edition schuldet die Internationale
Draeseke-Gesellschaft in erster Linie der Niederfüllbacher
Stiftung, sodann aber auch der Musikabteilung der Badischen
Landesbibliothek Karlsruhe, die die Originale des Erstdruckes
von 1887 zur Verfügung stellte. An den Neudruck des hiermit
vorgelegten Streichquartettes knüpft sich die Hoffnung
auf ein breites Interesse an der Kammermusik Felix Draesekes
ebenso wie der in bewusster Absicht erfolgte Hinweis auf das
Gesamtwerk eines Komponisten, der im Umfeld von Richard Wagner
und Franz Liszt seine Eigenständigkeit in vielfacher Hinsicht
bewiesen hat. Draesekes Jugendfreund Hans von Bülow hat
in einem anderen Zusammenhang ein Wort geprägt, das hier
abschliessend stehen darf: "... Alles, was dieser Komponist
bisher der Öffentlichkeit übergeben hat, ist nur
geeignet gewesen, ihm die Hochachtung und Sympathie der Gebildeten
zu erwerben. Er hat vollen Anspruch darauf, von vornherein
mit dem einem Meister geziemenden Respekt behandelt zu werden.
Wo ihm dieser versagt wird, ist eine Lücke in der Kenntnis
der Musikliteratur anzunehmen und der Rat, selbige baldigst
auszufüllen, am Platze. Der Komponist hat mit Arbeiten
debütiert, die eine solche Reife des Geistes, einen so
seltenen Fonds von Wissen und Können offenbaren, dass
die Unbekanntschaft mit demselben nur einem Dilettanten zu
verzeihen ist!"
© Udo-R.
Follert 1990/2003
Related page: Notes from the AK/Coburg release of the Second String Quartet
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