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FELIX
DRAESEKE – KLAVIERKONZERT
OP. 36
Ein vergessener Komponist
Felix
Draeseke schrieb über 120 Werke mit Opuszahlen, nahm
als produktiver und einflussreicher Musikschriftsteller und Kritiker
regen Anteil an den ästhetischen Diskussionen seiner Zeit,
wurde in seinen späteren Lebensjahren hoch geehrt – und
ist heute doch fast völlig vergessen. In jungen Jahren von
Richard Wagner und Franz Liszt begeistert, ergriff er kämpferisch
und kenntnisreich die Partei der Neudeutschen. Er warb mit grundlegenden
Analysen und Betrachtungen für Liszts neuartige Gattung
der sinfonischen Dichtung, war in dieser Hinsicht so etwas wie
Liszts „Sprachrohr“, denn der selbst sehr wortgewaltige
und schreibfreudige Komponist lobte Draesekes Erläuterungen
als grundlegend.
Ein
Bruch setzte nach 1861 ein. Auf dem Weimarer Tonkünstlerfest
dieses Jahres hatte Draeseke seinen Germania-Marsch vorgestellt
und einen Riesenskandal verursacht. Sein Anreger und Förderer
Liszt ergriff demonstrativ applaudierend für das Werk
Partei, doch nicht einmal Wagner mochte ihm darin folgen. Neben
Liszt äußerte
sich Hans von Bülow positiv, allerdings mit Einschränkungen.
Er pries Draeseke als den radikalsten musikalischen Neuerer,
als äußerste Linke, wie er in einem Brief schrieb.
Draeseke
zog sich ab 1862 in die Schweiz zurück. Viele Jahre
wirkte er als Klavierlehrer am Lausanner Konservatorium und
komponierte in geringem Umfang weiter. Als Kritiker und Musikschriftsteller
verfolgte er jedoch weiterhin aktiv das deutsche Musikleben.
1875 nahm er Wohnung in Genf. Im folgenden Jahr ließ er
sich in Dresden nieder, wo er bis zu seinem Tod lebte. Dort
hatte sein Lehrer Julius Rietz im Jahr 1873 Draesekes erste
Sinfonie
op. 12 uraufgeführt. Nun erhoffte sich der Komponist
eine Berufung ans Königliche Konservatorium. Zwar sammelten
sich bald Schüler um ihn, doch erst 1884 wurde er am
Konservatorium Lehrer für Komposition, Harmonielehre
und Kontrapunkt.
Draeseke
schrieb Werke aller Gattungen, wobei die geistliche Musik seine
eigentliche Domäne wurde,
wie der Draeseke-Experte Helmut Loos meint. Von den vier
Sinfonien errang die Symphonia
tragica (1886) den größten und nachhaltigsten
Erfolg, auch das Klavierkonzert erfreute sich großer
Beliebtheit (Loos). Christus, das monumentale Mysterium
in einem Vorspiel
und drei Oratorien, brachte ihm neben dem Requiem h-Moll
(1887-80) und der Großen Messe in fis-Moll (1890/91)
breite Anerkennung ein. Christus, in seiner Vierteiligkeit
deutlich an Wagners Der
Ring des Nibelungen orientiert, wurde 1912 in Berlin uraufgeführt.
Die
meisten Werke Draesekes entstanden erst während der
Dresdner Jahre und auch äußere Anerkennung setzte
spät ein. 1898 wurde er zum Hofrat, 1906 zum Geheimen
Hofrat ernannt.
1912 verlieh ihm die Philosophische Fakultät der Universität
Berlin die Würde eines Ehrendoktors als dem Wiederhersteller
des alten Glanzes der deutschen Musik. Inzwischen hatte
sich der einstige Top-Avantgardist nämlich zu einem
Streiter wider die Neuerungen gewandelt, die zu Beginn
des 20. Jahrhunderts
das Musikleben erschütterten. Die Uraufführung
von Richard Strauss‘ Oper Salome im Jahr 1905 hatte
Draeseke zur Veröffentlichung einer Kampfschrift
mit dem Titel Die Konfusion in der Musik veranlasst.
Er, der einst sogar radikale
Komponisten mit seinem Germania-Marsch ratlos gemacht
hatte, wandte sich nun gegen „Verirrungen“ in
der Musik und löste eine intensive Debatte aus – mit
der Folge, sich mit all jenen restlos zu überwerfen,
die nach neuen Entwicklungen der Musiksprache suchten,
und von den „Bewahrern
der Tradition“ auf den Schild gehoben zu werden.
Hinzu kam, dass Draeseke nationalistische Ansichten vertrat.
Letztlich
führte all das zur Vereinnahmung durch nationalistische
Kräfte und schließlich den Nationalsozialismus.
Als beispielhaft dafür wird immer wieder der national-pathetische
Untertitel der bis heute grundlegenden Draeseke-Biographie
des überzeugten
Nationalsozialisten Erich Roeder genannt: Der Lebens-
und Leidensweg eines deutschen Meisters. Die in dieser
Wortwahl angedeutete
Perspektive gibt Draesekes bewegtem Leben mit seinen Überspitzungen,
Brüchen, Rückschlägen, Kehrtwendungen
und späten
Ehrungen einen Hauch von „faustischem Ringen“ und „Titanenkampf“.
All dies ließ seine Leistungen verblassen und
trug wohl erheblich dazu bei, ihn in Vergessenheit
sinken
zu lassen.
Seit
den späten siebziger Jahren bemühen
sich einige Musiker, Musikwissenschaftler und weitere
Interessierte um eine
differenzierte Sicht auf den Komponisten. 1986 gründeten
sie die Internationale Draeseke Gesellschaft, der sich
1993 die International Draeseke Society/North America
beigesellte. Informationen
zu Arbeit und Ergebnissen finden sich im Internet unter www.draeseke.org.
Das Klavierkonzert
Felix
Draeseke schrieb sein gut halbstündiges Klavierkonzert
im Wesentlichen 1885. Als Fertigstellungsdatum hielt er fest:
31. Januar 1886 (1. Satz), 3. Februar (2. Satz), 6. März
(3. Satz). Bei der Uraufführung am 4. Juni 1886 im Hoftheater
Sondershausen spielte Laura Rappoldi-Kahrer den Solopart, es
dirigierte Karl Schröder (1848-1935), der seit 1881 Hofkapellmeister
in Sondershausen war und später in Rotterdam, Berlin, Hamburg
und Dresden wirkte. Die Sondershäuser Hofkapelle pflegte
enge Beziehungen zu Franz Liszt in Weimar, der die Aufführungen
seiner Werke durch das Orchester stets mit höchstem Lob
bedachte. 1919, nach der Ausrufung der Republik, wurde der Klangkörper
in Staatliches Loh-Orchester umbenannt.
Die
Komponistin und Pianistin Laura Rappoldi, geb. Kahrer (1853-1925),
war Schülerin unter
anderem von Anton Bruckner (Komposition), Franz Liszt, Adolph
von Henselt und Hans von Bülow. Sie
galt als eine der herausragenden Pianistinnen ihrer Zeit. Nach
1886 trat sie nur noch in Dresden auf, wo sie am Konservatorium
unterrichtete, wie Draeseke, der sie gut kannte. Frau Rappoldi
hatte auch Draesekes Klaviersonate op. 6 im Repertoire, und eine
Aufführung dieses Werks soll den Anstoß zur Komposition
des Klavierkonzerts gegeben haben, das ihr gewidmet ist. Anscheinend
beriet Draeseke sich mit ihr bei der Komposition des Werkes,
das außerordentlich hohe technische Anforderungen an den
Solisten stellt.
Für die Uraufführung hatte Draeseke zunächst den
Komponisten und Pianisten Eugen d’Albert gewinnen wollen,
der jedoch aus Zeitmangel ablehnte.
Draeseke
entschied sich mit der dreisätzigen Anlage schnell-langsam-schnell
für die traditionelle Konzertform, wie sie sich etwa bei
Beethoven, in Schumanns Klavierkonzert op. 54 oder dem Klavierkonzert
Nr. 1 von Frédéric Chopin findet – im Gegensatz
etwa zu Liszts Klavierkonzerten oder dem wenige Jahre zuvor entstandenen
Klavierkonzert Nr. 2 von Johannes Brahms. Allerdings bildet der
zweite Satz schon von seiner Ausdehnung her den Schwerpunkt des
Werks und hebt sich dadurch von der Tradition ab. Ungewöhnlich
ist auch seine Gestaltung als Variationenfolge, in der Draeseke
eine Vielzahl unterschiedlicher Stimmungen und Charaktere aufbaut,
bei einer Entwicklungstendenz hin zum Hellen, Lichten, Verklärten.
Bei
einer Einschätzung des Werks kommt dem Verhältnis
von Klavier und Orchester besondere Bedeutung zu. Die Pole, zwischen
denen sich die Komponisten von Instrumentalkonzerten im 19. Jahrhundert
bewegten, waren zum einen das Virtuosenkonzert, zum anderen das
sinfonische Konzert. Beim Virtuosenkonzert hatte das Orchester
eine vorwiegend begleitende, unterstützende Funktion inne,
während das Klavier eindeutig im Vordergrund stand. Diese
Konzeption entsprach den Bedürfnissen des Publikums und
aufführungspraktischen Erfordernissen: Die Zuschauer kamen
ins Konzert, um den reisenden Virtuosen zu erleben, der effektvoll
zu brillieren suchte. Nicht überall war ein großes
Orchester aus guten Spielern verfügbar, es gab zumeist nur
geringe Probenzeiten und zudem fanden die Auftritte oft an Orten
statt, die einem großen Orchester gar keinen Platz boten,
etwa einem Salon – genügend Gründe, den Orchestersatz
einfach und möglichst variabel zu halten. Diese Konzerte
schrieben die Virtuosen meist selbst, wobei sie eine substantielle
Verbindung von Klavier- und Orchestersatz gar nicht anstrebten.
Eben
diesen Verzicht kritisierten die Vertreter der „sinfonischen“ Richtung,
wobei sie oft das Argument des „kompositorischen Unvermögens“ gebrauchten.
Für sie zeichnete sich ein gutes Konzert dadurch aus,
dass Klavier und Orchester in intensive Wechselwirkung traten.
Die
steigende Zahl fester Orchester mit spezialisierten Berufsmusikern,
der zunehmende Bau von Konzertsälen und ein steigendes
Bewusstsein von der Notwendigkeit intensiver Proben gewährten
immer bessere Bedingungen für die Aufführung solcher
Werke.
Das
Sondershäuser Orchester hatte einen besonders
guten Ruf, was die Qualität seiner Darbietungen anging:
Max Bruch hatte es geleitet, Franz Liszt immer wieder gerne
mit ihm konzertiert,
und auch Max Reger zeigte sich 1890 bei seinem Aufenthalt
in der Stadt begeistert. Draeseke fand für die Uraufführung
also beste Bedingungen vor.
Draeseke
bezieht Klavier und Orchester aufeinander, wobei es ihm
um eine Vielfalt des Miteinanders
zu gehen scheint.
Im
ersten Satz finden Soloinstrument und Tutti erst allmählich
zueinander, im zweiten Satz dominiert das Klavier, während
im dritten eine Gleichberechtigung zwischen beiden Partnern
erreicht wird.
So gesehen spielt Draeseke kunstvoll mit den unterschiedlichen
Möglichkeiten des Konzertierens. Vielfalt und Entwicklung (zum Verklärten im 2. Satz, zum
Miteinander in der Gesamtform) – es scheint, als könne
man mit diesen beiden Begriffen die „Idee“ des Werkes
umreißen.
© Bernhard
Lenort/Staatstheater Cottbus 2004
Read Erich Roeder on Draeseke's Piano Concerto from the Heinz Ebert Archives
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