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Nach den neuerlichen Gesamtaufführungen des zwischen 1864 und 1899 entstandenen, aber nach der Uraufführung 1912 in Berlin und einer Wiederholung in Dresden nicht mehr aufgeführten "Christus-Mysteriums" Anfang Dezember 1990 in Speyer (Follert) und im November 1991 in Heilbronn (Rau) entstand die Idee, aus geeigneten Teilen des beeindruckend-gewaltigen Werkes Orgelbearbeitungen herzustellen. Damit könnte vielleicht diesem, an drei Abenden aufzuführenden "Oratorium der Tausend" für Soli, Chor (der Komponist meinte selbst, das "an gewissen Stellen 400 Sänger nicht zu zahlreich" seien), Orchester und Orgel in kleinerer, leicht zugängiger Weise zur Verbreitung verholfen werden, um bei Kantoren und Organisten Interesse zu erwecken, sich mit dem Werk zu beschäftigen.
Felix Draeseke u. Bruno Kittel.
Im Jahre 1912 erfolgten die beiden ersten Gesamtaufführungen seines vierteiligen „Christus“-Mysteriums in einem Vorspiel und drei Oratorien unter der Leitung von Bruno Kittel in Berlin und Dresden. |
Ein solches Anliegen zu erfüllen, forderte natürlich eine Gestaltung, die den inneren Zusammenhang des Werkes deutlich macht, d.h. sich nicht auf bloßes Übertragen des Notentextes auf die Möglichkeiten der Orgel beschränkt. Draeseke, der seiner Zeit entsprechend dem Wagnerschen Vorbild folgte und diesen geistlichen "Ring" durch eine Art Leitmotiv zur inneren Einheit und fassbaren Entwicklung verschmolz, deckte damit in diesem oratorischen Christus-Mysterium an drei Abenden samt Vorspiel vielfältige Beziehungen auf, die in den Bearbeitungen mitschwingen sollten. Deshalb bezog ich sie als Bearbeiter ein und gab in der ersten vorliegenden "Christus-Suite" von 1991 den drei Choralbearbeitungen einen diesen Zusammenhang aufdeckenden Hintergrund. Natürlich musste man diese Motivik in den musikalischen Kontext einarbeiten. Dadurch ergaben sich Passagen, die nicht von Draeseke sind, aber in denen das motivische Material in dessen Stil zu gestalten und mit dem Original bruchlos - so wenigstens war es beabsichtigt - zu verbinden war. Die "Christus-Suite Nr. 1" von drei konzipierten besteht aus den Sätzen:
"Johannes der Täufer", der Bearbeitung des von Draeseke als Einleitung der 1. Abteilung des I. Oratoriums "Christi Weihe" aufgenommenen gregorianischen Chorals "Elisabet Zachariae magnum virum genuit. Joannem Babtistam praecursorum Domini".
"Das Abendmahl", aus der 1. Abteilung "Bereitung des Osterlamms und Fußwaschung" des IH. Oratoriums "Tod und Sieg des Herren" mit dem Choral "Lass mich dein sein und bleiben".
"Jesus am Kreuz", aus der 2. Abteilung, Satz drei "Der Gang zum Kreuz" und vier "Jesus am Kreuz" des III. Oratoriums "Tod und Sieg des Herrn" mit dem Choral "O Haupt voll Blut und Wunden".
Die Choräle entsprechen den angegebenen Teilen im Originalsatz. Die fugierte Bearbeitung des gregorianischen Chorals in zusammengefasster Form (rezitativische Passagen auslassend) ist den Oratoriensätzen I: "Johannes der Täufer und das Volk", das vom Propheten gemahnt wird, Buße zu tun, da das Himmelreich nahe herbeigekommen sei, und dem Schluss von IH: "Johannes der Täufer und Jesus" entnommen. Am Beginn der Suite erklingt das pathetisch-Wagnerische Leitthema "Christus, der Erlöser", das beim ersten Erscheinen von den Textworten des Johannes: "Mitten unter euch ist er getreten, den ihr nicht kennt" gefolgt wird. "Ich bedarf wohl, dass ich von ihm getauft werde, und du kommst zu mir?" fragt er anschließend Jesus. Dazu erklingt das immer wieder in die Satzgestaltung des Oratoriums eingearbeitete, schlichte Motiv von "Christus, dem Sohn Gottes". Der gregorianische Choral steigert sich gegen Schluss, an jenen finalen Chorsatz des Oratoriums anschließend, der vom "Lamm Gottes" spricht, "das da trägt die Sünden der Welt". Wie begonnen endet dieser 1. Suitensatz sinngebend mit dem kraftvollen Eingangsthema von "Christus, dem Erlöser".
Der 2. Satz nun verwendet Teile der 1. Abteilung des III. Oratoriums. Ausgangsthema ist das des "Abendmahls" ("Gehet hin, bereitet das Osterlamm" sagt Jesus zu Petrus und Johannes). Im weiteren Verlauf ist dann die Motivik aufgenommen, die im Nachklang jenes Chores entsteht, der die Worte markiert: "Wo du hingehst, da will auch ich hingehen, wo du bleibst, bleibe ich auch! Wo du stirbst, sterbe ich auch, Der Tod muss mich von dir scheiden". Dem folgt die Aufnahme des Chorals "Las mich dein sein und bleiben". Abrundend wird das Abendmahls-Motiv des Anfangs wieder aufgenommen.
Der 3. Satz "Jesus am Kreuz", der Passion Christi gewidmet und wesentlich vom Choral "0 Haupt voll Blut und Wunden" bestimmt, bezieht am Anfang und Schluss jene Thematik ein, die, nicht unbeeinflusst von Goethes "Faust" und Wagners "Parsifal" den "guten" Kräften die "bösen Geister" gegenüberstellt. Bereits im I. Oratorium "Christi Weihe" in der 2. Abteilung "Aussendung Jesu in die Welt" stellt Draeseke dem "Chor der Engel", der Christus als den Friedensbringer und Sohn des Wohlgefallens ankündigt, den der "bösen Geister" gegenüber, der deutlich an die Musik von Wagners Klingsor-Welt anklingt und ein Motiv markiert, das als "Satans- Motiv" die Kontrastsphäre prägt, die Versuchungen begleitend. Dieses rhythmisch markant aufzuckende Thema steht auch am Beginn des 3. Satzes der Suite, die letzte Versuchung Jesu einleitend, bei Schwäche vielleicht Gott, den Vater, am Kreuz zu verraten. Aber bereits das Zitat der Melodik von "Christus, dem Sohn Gottes" macht die Wirkungslosigkeit solchen Tuns deutlich. Jesus besteht die Passion, deren Ablauf in der Suite sich als schmerzensreicher Gang zum Kreuz dynamisch aufbaut, im Fortissimo abreißt und dem Choral "0 Haupt voll Blut und Wunden" Raum gibt. Satans, motivisch am Ende noch einmal aufzuckend, verröchelt leise "in der Tiefe".
Die Suite wurde vom Altenburger Organisten Dr. Felix Friedrich schon mehrfach seit 1994 in Deutschland (Braunschweig St. Ulrici, München St. Bonifaz) und Amerika (Farmington Hills in Michigan und Northville) aufgeführt. 1995, bei der 9. Jahrestagung der Internationalen Draeseke-Gesellschaft, spielte er sie in der Stadtkirche St. Moriz in Coburg.
Eine geplante 2. "Christus-Suite" wird, für Trompete und Orgel für den Dresdner Trompeter Ludwig Güttler eingerichtet, die fugiert gearbeiteten Choralsätze "Wie schön leuchtet der Morgenstern" und "Vom Himmel hoch, da komm ich her" aus dem Vorspiel "Die Geburt des Herren" arrangieren. Sie umrahmen den Choral "Dir, dir Jehova will ich singen", der als Vorspiel der 2. Abteilung des II. Oratoriums "Christus der Prophet" dient und jenen Teil einleitet, der in Dialogszenen von Jesus und den Jüngern das "Vater unser" vertont zeigt.
Eine 3. Suite nimmt Chorfugen auf. Zuerst aus dem Vorspiel "Die Geburt des Herrn" den Eingangssatz "Israels Erwartung des Messias", an dessen Ende das "Satans-Motiv", als Möglichkeit falschen Propheten aufzusitzen, warnend hinein klingt. Am Ende, als dritter Satz, ist die Doppelfuge des Schlusschores der 2. Abteilung des II. Oratoriums "Christus der Prophet" partiell aufgegriffen, in die der "Chor der Gläubigen" nach der Auferweckung des Lazarus (1. Thema) den zweifelnd feindseligen "Schriftgelehrten und Pharisäern" (2. Thema) gegenübergestellt ist. Das diatonisch kyriehaften Thema der gläubig Überzeugten kontrastiert mit dem chromatisch engen, "fanatisch" zu realisierenden der Pharisäer. Nach der Engführung der Themen setzt sich in der Suite sieghaft unisono das der Gläubigen durch, das in der Finalgestaltung des "Hosianna in der Höhe", dem Finale des II. Oratoriums gipfelt, zusätzlich markiert mit dem Thema "Christus der Erlöser", dem die jubelnde Verklärung gilt. Im mittleren Teil der dreisätzigen Suite Nr. 3 - überschrieben "Von Bethlehem nach Jerusalem" (Jesus im Tempel) - sind Teile aus dem Vorspiel "Die Geburt des Herren" zusammengestellt. Am Anfang ist aus dem II. Oratoriensatz "Bethlehem" der instrumental-pastorale Nachklang des Gesangs der Hirten auf dem Felde (Ehre sei Gott) nach der Verkündigung des Engels genutzt. Die Musik zu Jesu Auftreten im Tempel von Jerusalem prägt den mittleren Teil. "Der Chor der Versammelten" (Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth ... Meine Seele verlanget und sehnet sich nach dir) liefert das Material dieser walzerartig beschwingten Kantilenen, die sich wieder in der Pastorale der Hirten aufheben. Am Schluss erklingt kraftvoll verheißend das Thema von "Christus dem Erlöser".
Auf die dargestellte Weise erweisen sich die drei sinngebend thematisch und mit originalen Sätzen verknüpften Suiten als hoffentlich brauchbare Einführung in das Draesekesche Werk.
Einstmals galt Felix Draeseke neben Brahms und Bruckner als dritte Größe sinfonischer Musik am Ende des vorigen Jahrhunderts. Im Strudel der Materialrevolutionen der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts verlor sich das Interesse an der im Grunde als altväterlich verrufenen Kunst des Dresdner Meisters. Paul Bekker schrieb in seinem Gedenkartikel in der "Frankfurter Zeitung" im Juni 1913 im Zusammenhang mit Draesekes Schaffen achtungsvoll von einem "mit ungeheurer Willenskraft durchgeführten Experiment, das wir als künstlerisches Unternehmen bewundern, dem wir in einzelnen Abschnitten auch innere Teilnahme nicht versagen werden und das als Ganzes doch einen durchaus problematischen Eindruck hinterlässt ...".
Ähnlich dem jüngeren Pfitzner, der sich allerdings mit seinen sarkastischen Apercus selbst ins Aus trieb, vermochte auch bei allem Einsatz die nazistische Kulturpropaganda Meister Draeseke nicht künstlerisch zu erwecken, der mit seiner "Konfusion in der Musik" viele Stichworte gegen "moderne", gegen "entartete" Musik gefunden hatte, die mit Einschränkungen und Missverständnissen dem kulturpolitischen Jargon nahe zu kommen schienen.
Mit dem historischen Abstand und dem Interesse, diese Vergangenheit aufzuarbeiten, was sich auch in dem diesjährigen Symposion niederschlagen wird, haben sich mehr und mehr Interessenten gefunden (seit 1986 in der Internationalen Draeseke Gesellschaft organisiert), die dem Oeuvre des Meisters ihre Aufmerksamkeit zuwenden und überzeugt sind, dass sich eine Wiederbelebung seiner Werke lohne. Nach der Aufführung des "Christus-Mysteriums", das nun auch in einer CD-Einspielung vorliegt, hat sich die künstlerische Ausdruckskraft gerade dieses Komponisten bestätigt. Die Orgelbearbeitungen von Teilen dieses Oratoriums dienen der lohnenden Popularisierung gerade des zu Unrecht vergessenen Meisters.
© Dr. Friedbert Streller 1996/2006
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