Felix Draeseke: Grand Mass in a, op.85 (1908-9)

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Vorwort zur Neuausgabe der "Großen Messe" a-moll von Felix Draeseke (1835-1913)

 

"Als die große Linie zeichnet sich diese ab: es gelang seiner ungebrochenen Urkraft, die lebenglühende Ausdrucksmusik der Neudeutschen (deren ultraradikaler Exponent er war) in unerhörter Selbstbezwingung zu beherrschter Objektivität zurückzuführen und ins Gleichgewicht zu bringen mit den überpersönlichen und überzeitlich gültigen Werten und Gestaltungskräften reiner Musikarchitektur. Dieser Sendung diente auch Brahms. Aber bei wenigen Zeitgenossen erwuchs sie einer auch nur annähernd so starken Gegenspannung der Grundkräfte wie bei Felix Draeseke." (H. Stephani über Felix Draeseke, Artikel zum 20. Todestag 1933).

Felix Draeseke, "die umstrittenste Erscheinung der neueren Musikgeschichte" (Richard Batka, Willibald Nagel, Allgemeine Geschichte der Musik, Bd.III, S. 172 ff.), wurde am 7. Oktober 1835 in Coburg geboren. Die Vorfahren waren von Mutter- und Vaterseite her hohe evangelische Geistliche. Am Leipziger Konservatorium der nachschumannschen Zeit u. a. von Rietz ausgebildet, war auch für den jungen Draeseke wie für viele seiner Zeitgenossen Wagners Musik wegweisend. Er fand Anschluß bei den sog. "Neudeutschen" des Weimarer Kreises um Franz Liszt. Draesekes kompositorische Erstlingswerke waren äußerst radikal. So wurde nach Liszts Abschied von Weimar (1861) auch für seine Anhänger die Situation schwierig. Im selbsterwählten, zwölfjährigen Exil in der Schweiz machte Draeseke jene Wandlung durch, die ihn dazu befähigen sollte, die Ausdrucksmittel der "Neudeutschen" und die strengen Formen der "Alten" zu einem höchst persönlichen Stil zu vereinen.

Draesekes Weg als Künstler war ein fortwährender Kampf um Anerkennung. Der von allen seinen Schülern am Dresdener Konservatorium hochgeachtete Professor für Komposition und Musikgeschichte fand mit seinen Werken nicht das Echo in der musikalischen Öffentlichkeit, wie es dem in dieser Hinsicht glücklicheren Zeitgenossen Brahms beschieden war. Draesekes schweres Gehörleiden hinderte ihn zudem an der Ausübung des praktischen Musikerberufes als Dirigent und Pianist, und so there is a recording of Draeseke's Masskonnte er nicht selbst für die Verbreitung seiner Werke eintreten. Der 77 jährige erlebte einen späten Triumph: Im Jahre 1912 erfolgte die Gesamtaufführung seines vierteiligen "Christus" (Mysterium: ein Vorspiel und drei Oratorien), der in der Musikgeschichte einzig dastehenden dramatischen Darstellung vom "Leben, Wirken und Sterben unseres Heilandes auf dieser Erde". Der hohe Wert dieses Monumentalwerkes bewog die Berliner Universität, dem greisen Meister die Ehrendoktorwürde zu verleihen. Bald darauf, am 26. Februar 1913, starb Draeseke in Dresden. Die einsetzende Draeseke - Pflege erlahmte mit Ausbruch des 1. Weltkrieges - und kam bis heute nicht wieder recht in Schwung. Die Entwicklung der Musikgeschichte ging andere Wege. Auch waren die Maßstäbe einer angemessenen Beurteilung und Bewertung von Draesekes Werk bzw. Stellung infolge der enormen kulturellen und sozialen Umwälzungen nach dem Kriege völlig verlorengegangen. Erst jetzt wächst allmählich das Interesse an der "unerkannten" Musik des 19. Jhd., als deren hervorragendster Vertreter Draeseke sehr wohl gelten darf. Des Meisters kompositorisches Schaffen umfaßt alle Gattungen der Musik, und in allen schuf er Werke von zum Teil überragender Bedeutung. Die geistliche Musik nimmt mit Motetten, zwei Messen, zwei Requiems, Kantaten, Psalmen und dem erwähnten Mysterium neben Oper und Symphonie den breitesten Raum ein. Die hier vorgelegte Neuauflage ist ein Nachdruck der Erstedition von 1910 und erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Musikverlages F. E. C. Leuckert, München.

Die "Große Messe" a-moll, Op. 85, weist Draeseke aus als Meister eines A-cappella-Stiles, wie es ihn in dieser eigenständigen Tonsprache zwischen Brahms und Reger nicht gibt. Das ganze Werk durchzieht eine sehr eingängige Melodik. Die formale Anlage der einzelnen Sätze darf man meisterhaft nennen; in der Harmonik finden sich Kühnheiten, die nicht künstlich, sondern natürlich wirken, gleichwohl aber Draesekes persönlichen Stil unterstreichen.

Das Kyrie in Form einer Doppelfuge zeigt die Synthese von alter Fugenform und spätromantischer Harmonik. Im Gloria meidet der Meister die "alte Fugenfessel" und folgt in beweglichem Wechsel der Gegensätze einem planvollen Modulationsschema. Das Gloria-Thema kehrt im "Cum sancto spiritu" wieder und hat also eine Klammerfunktion. Von sehr expressivem Charakter ist das "Qui tollis peccata mundi". Wie eine mächtige Orgelintonation steht im Credo jedem Artikel die gleichgeformte Bekenntnisformel voran. Im zweiten und dritten Glaubensartikel findet Draeseke beim "et incarnatus", beim "Crucifixus" und beim "Confiteor" - um nur wenige zu nennen – Ausdrucks-formen, die einzigartig sind! Die brillante "Et vitam"-Fuge zeigt wieder den souveränen Kontrapunktiker. Dem akkordisch geprägten, klangvollen Sanctus folgt eine jubilierende Osanna-Fuge, die organisch in die Anfangsakkorde wieder einmündet, mit denen der Satz schließt. Das Benedictus ist in seiner melodisch - liedhaften Anlage ein Satz von ergreifender Schlicht-heit. Das Agnus Dei verlangt ein Zeitmaß "fast wie im Kyrie". Der erste Teil bringt den Vordersatz dreimal in stetiger harmonischer Steigerung, worauf das "Dona nobis pacem" in Form einer Drei-Themen-Fuge folgt. Das nochmals eingeschobene Agnus Dei - unisono ausgeführt -leitet in einen Schluß über, der verklärend und schlicht die Bitte nach Frieden ganz und gar unnachahmlich ausdrückt.

Möge die Neuausgabe seiner "Großen Messe" den Komponisten Felix Draeseke weithin bekannt machen. Möge sie auch helfen, ein Bewußtsein dafür zu schärfen, welch hohe Kunst verborgen bleibt, wenn das Gesamtwerk "dieses Mannes, der den höchsten Zielen entgegenstrebte" (Batka), weiter unerkannt bliebe.

©Udo-R. Follert 1983/2002

English via Google Translation  
 
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